Diese junge Frau trägt bequeme Kleidung und liest in Ruhe ein Buch. In den Jahren der frühen Republik wurde Bildung für viele Frauen in den chinesischen Großstädten etwas Selbstverständliches.
Die junge Frau hat ihre Ellenbogen auf einem hohen, schmucklosen Tisch gestützt und blickt gedankenverloren von ihrer Lektüre auf.
Ihr Outfit entspricht dem neuen, unkomplizierten Kleidungsstil der frühen Republikjahre, der besonders von jungen Frauen geschätzt wurde, weil er mehr Bewegungsfreiheit bot: Das hellblaue Oberteil mit einem eingewebten Endlosknoten-Muster hat lange Seitenschlitze und weite Trompetenärmel. Diese als “gepflegter neuer Look” bezeichnete Mode brachte das Lebensgefühl einer neuen Frauengeneration zum Ausdruck.
Ihre zierliche Armbanduhr war damals ein wertvolles, aus dem Ausland importiertes Accessoir, denn China hatte erst nach 1949 eine eigene Armbanduhrproduktion. Das weiße Gesichtsmakeup mit den rosigen Wangen entspricht eher einem ländlichen Look, während die Mittelscheitelfrisur und der mit einem schlichten Band zusammengehaltene Pferdeschwanz damals vorzugsweise unter Studentinnen beliebt war.
Die lässige Art, mit der die junge Frau an dem Tisch lehnt und ein Buch liest, ist ein Hinweis darauf, dass Bildung für Frauen in den 20er Jahren immer selbstverständlicher wurde. Viele Frauen begannen, eigene Lebensvorstellungen und Initiativen zu entwickelten und lösten sich Schritt für Schritt von männlich dominierten Traditionen. Dieser Prozess begann in den großen Städten, vor allem in Shanghai, und verbreitete sich nach und nach auch in den Provinzen.
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