Wie funktioniert Hinterglasmalerei?
Malerei hinter Glas fordert besondere Übung, denn sie wird auf der Rückseite einer Flachglasscheibe ausgeführt. Der gesamte Prozess ist in Schichten aufgebaut, die im Vordergrund liegenden Details müssen zuerst aufgetragen werden, danach die mittleren Schichten, und zuletzt der Hintergrund. Die Reihenfolge verhält sich also umgekehrt wie in der Ölmalerei. Dazu kommt, dass das Bild und eventuelle Aufschriften seitenverkehrt gemalt werden müssen, denn betrachtet werden die Hinterglasbilder von der unbemalten Seite aus.
Hinter Glas gemalte Farben entfalten eine brillante Farbpalette und eine besondere Tiefenwirkung. Die Malschicht bildet mit dem Glas eine Einheit, und je nach Lichteinfall, Standort des Betrachters und Beschaffenheit der Oberfläche ergeben sich eine leuchtende Farbigkeit und ein fast dreidimensionaler Effekt.
Kurze Geschichte
In der Antike war Syrien das Zentrum der Herstellung qualitätsvollen, klaren Glases, und die Anfänge der Dekoration hinter Glas liegen vermutlich im Ägypten des 3. Jahrhunderts v. Chr. In Europa erreichten erst Mitte des 15. Jahrhunderts die Venezianer wieder diesen hohen technischen Stand, und im Lauf des 16. Jahrhunderts brachte die Verfügbarkeit von dünnen, durchsichtigen, farblosen und weitgehend bläschenfreien Glastafeln eine erste Blütezeit der Hinterglasmalerei. Themen waren meist biblische und mythologische Szenen. Weitere europäische Glaskunst-Zentren entwickelten sich in Burgund/Niederrhein, Prag, Nürnberg, Zürich und Augsburg.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es im Zuge der bilderfreundlichen Gegenreformation besonders in den katholischen Gegenden nördlich der Alpen zu einer Produktion großer Mengen von volkstümlichen Hinterglasbildern mit religiösen Motiven.
Die neuen Produktionskapazitäten für Flachglas suchten auch außereuropäische Absatzmärkte. Es gibt Belge, dass bereits ab dem 17. Jahrhundert Spiegel und Flachglas aus Europa nach Südostchina gelangten.
Glasimport nach China – die ersten Hinterglasbilder in China
Flachglas-Importe aus Europa schufen im 17. Jahrhundert die Voraussetzung für die Entwicklung der Hinterglasmalerei in China. Es wurde lange angenommen, dass auch die Kenntnis der Hinterglasmalerei mit den christlichen Missionaren aus dem Westen nach China gelangte. Belegt ist, dass mehrere „Jesuitenmaler“ die Hinterglasmalerei in China ausübten, darunter auch der berühmte Giuseppe Castiglione (1688-1766) am Hof des Kaisers Qianlong.
Andererseits ist auch dokumentiert, dass die Jesuiten die Fertigkeit der Chinesen in der Hinterglasmalerei bewunderten und von ihnen lernten. Wissenschaftliche Studien bezweifeln daher, dass die Kenntnis der Hinterglasmalerei mit den Missionaren nach China gelangt ist. Vielmehr geht man davon aus, dass europäische Hinterglasbilder in China als Zeugnisse hochentwickelter europäischer Kunst und Technologie wahrgenommen wurden und als Vorbilder für die chinesischen Kunsthandwerker dienten, die eine große Expertise in der Gestaltung und Dekorierung unterschiedlichster Materialien besaßen.
Die Blüte der Hinterglasmalerei in China
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begann zunächst in Kanton, dem heutigen Guangzhou, eine intensive Produktion von Hinterglasbildern. Die frühen Kantoner Hinterglasbilder zeichnen sich durch einen hybriden chinesisch-europäischen Stil aus, wobei z.B. auch Drucke aus England als Vorlage dienten. Zwischen 1820 und 1860 verbreitete sich die Hinterglasmalerei von Kanton ausgehend in ganz China, und die Sujets und Malstile passten sich dem chinesischen Geschmack an, wenn auch die Einflüsse des hybriden chinesisch-europäischen Stils weiterwirkten.
Kantonesische Hinterglasmaler arbeiteten auch in den Palastwerkstätten in Peking. Bereiche innerhalb der Verbotenen Stadt und anderen kaiserlichen Stätten wurden reich mit bemaltem Glas und Spiegeln verziert. Diese Praxis wurde von den wohlhabenden Haushalten der Qing-Elite im Norden und der Kaufmannsklasse im Süden nachgeahmt. Die Brillanz der Glasflächen, die Begeisterung für dieses neue und fremde Material, die Strahlkraft der Farben und die magische Wirkung der verspiegelten Oberflächen machten dieses neue Malmedium sehr attraktiv.
Auch in zahlreichen chinesischen Provinzen entstanden Werkstätten, die sich auf Hinterglasmalerei spezialisierten. Sie wurden als Hochzeitsgeschenke, als glücksbringende Bilder für Geschäftseröffnungen oder als Heimdekoration verwendet.
Diese volkstümliche Produktion der Hinterglasmalerei ähnelte in Bezug auf Stil und Thema anderen Genres der chinesischen Volkskunst wie den Neujahrsdrucken, bemaltem Porzellan, dekorierten Lackgefäßen, Schatten- und Puppentheater, Schnitzkunst und Scherenschnitten, während sie gleichzeitig auch westliche Stilelemente und, im Laufe der Zeit, Themen aus dem Leben des einfachen Volkes einschloss.
Chinesische Hinterglasbilder als Exportartikel
Ungezählte Hinterglasbilder wurden von Kanton aus exportiert und erreichten Nordamerika und Europa, aber auch Süd- und Südostasien. Viele dieser Bilder sind in privaten und öffentlichen Sammlungen erhalten, ihre Entstehungszeit und ihre Herkunft sind gut dokumentiert. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass es sich bei den Kantoner Hinterglasbildern in erster Linie um eine florierende Exportproduktion handelte. Doch auch wohlhabende Chinesen waren Liebhaber dieser besonderen Glaskunst. Nur fiel ein Großteil ihrer Schätze den Unruhen und den Kriegen zum Opfer, die China im 19. Jahrhundert und auch noch im 20. Jahrhundert erschütterten. Die zerbrechlichen Hinterglasbilder waren keine Gegenstände, die man auf der Flucht mitnehmen konnte.
Hinterglasbilder fürs Volk
In der späteren Phase der Hinterglasmalerei – gegen Ende der Qing-Dynastie und dem Beginn der Republikzeit – wurde hauptsächlich für lokale Märkte im gesamten chinesischen Reich produziert. Es gab eine Vielzahl an kleinen und größeren Produktionsstätten in chinesischen Städten und Dörfern. Die Künstler berücksichtigten stärker die Bedürfnisse ihres Publikums, Motive und Malstil spiegelten den Geschmack und die Vorlieben der einfachen chinesischen Kunden wieder. „Schön und leuchtend“ sollten die Produkte sein und was könnte schöner und heller sein als dieses neue Zusammenwirken brillanter Farben und verspiegelter Oberflächen, die beim Positionswechsel den Betrachter zu animieren schienen? Die Motive waren den chinesischen Verbrauchern vertraut und stellten einen klaren und für alle zugänglichen kulturellen Code dar: Szenen aus der populären Literatur, Folklore und Drama, glücksverheißende Motive, Vogel- und Blumendarstellungen, Bilder von Frauen und Kindern und Portraits schöner Damen.
Heute ist die Hinterglasmalerei praktisch aus dem Bewusstsein sogar des kunstinteressierten chinesischen Publikums verschwunden. Es gibt keine öffentlichen und nur wenige private Sammlungen; die historischen Hinterglasbilder im Pekinger Kaiserpalast sind weitgehend unzugänglich, und es gibt kaum wissenschaftliche Annäherungen an das Thema.
Die Privatsammler Rupprecht Mayer und Haitang Meyer-Lin haben eine weltweit einzigartige Kollektion chinesischer Hinterglasbilder aus der Zeit zwischen ca. 1850 und 1965 zusammengetragen. Die Sammlung wird seit 2017 international ausgestellt und in zwei Monographien präsentiert.
Ausführliche Darstellungen
Rupprecht Mayer, BOLIHUA, Chinesische Hinterglasmalerei aus der Sammlung Mei-Lin,
Hirmer Verlag, 2017, S. 10-13
Alina Martimyanova, REFLECTED BEAUTIES, Chinese Reverse Glass Paintings from the Mei-Lin Collection, University Museum and Art Gallery, The University of Hong Kong, 2022, S. 10-15